Klimawandel – viele Menschen können es schon bald (oder lange) nicht mehr hören, andere sehen nur noch diese eine drohende Katastrophe und nichts anderes mehr in der Gesellschaft. Das Thema ständig in den Medien, gefühlt überall nervende Klimakleber. Die einen sehen die Menschheit am selbstgemachten Abgrund, die anderen sagen, Klimaveränderungen in die eine oder andere Richtung habe es schon immer gegeben. Doch wertungsfrei und ganz egal, wo man persönlich in dieser Pro-Contra-Sichtweise steht: Es ist eine in diesem Jahrhundert sich immer stärker zeigender Tatsache, dass die Gletscher in den Alpen zurückgehen und es durch die sich nach oben verschiebende Permafrostgrenze immer häufiger zu Felsstürzen kommt. Das mit den schwindenden Gletschern haben wir über die Jahre schon mehrfach am eigenen Leib zu spüren bekommen, bis in die Tiefe rutschige statt festgefrorene Schutthänge auch – doch ein aktueller Felssturz berührt mich ganz besonders.
Wer den Bergdale schon länger verfolgt, hat sicherlich in älteren Foren, Verbandsmagazinen oder an anderer Stelle von unserer Querung des Alpenhauptkamms gelesen; ich hatte den Beitrag aus früheren Veröffentlichungen hierher in den Alpinhundblog gezogen (hier klicken). Aus einer Schnapsidee geboren, war diese viertägige Tour von der Fahrt vom Salzachtal mit Öffis nach Hinterbichl ins Virgental und von dort über die Eisseehütte, die Johannishütte und die Kürsingerhütte zu Fuß zurück ins Salzachtal mit vielen grandiosen Momenten, fordernder Wegfindung und einsamer Natur eine der schönsten Touren, die wir je gelaufen sind. Nun ist im Alpinjournal unter dem treffenden Titel »Einstürzende Altbauten« (hier klicken) ein Artikel über eine Bergtour in den Hohen Tauern erschienen, deren Verlauf sich an einem kritischen Punkt mit unserer Tour geschnitten hat: dem Übergang über den Hauptkamm auf 2.918 m Höhe, dem Obersulzbachtörl.
Wir waren damals von Süden gekommen – oben im Titelbild des Beitrags zu sehen, der Pfeil markiert das Törl – und hatten eine extrem steile, aber nicht senkrechte Nordseite vorgefunden. Der Weg nach unten führte durch eine leicht schräg verlaufende Rinne, in der Felsplatten so scharfkantig, dass man sich beim rutschigen Abstieg nicht daran hätte festhalten können, senkrecht aus einer Masse aufragten, die in ihrem Verhalten an nassen, sehr groben Sand erinnerte. Also hatten wir einen Abseilpunkt eingerichtet und uns abgelassen, Luzie mit ihren vier Beinen dagegen konnte seilfrei gehen. Unterhalb des Grats angekommen, hatte ich die Rinne zum Obersulzbachtörl hinauf fotografiert.
Im Artikel des Alpinjournals nun wollte eine Seilschaft von Norden auf das Obersulzbachtörl aufsteigen. Der Autor Michael Pröttel beschreibt, dass es dort eine jetzt bei einem Felssturz ausgebrochene Seilversicherung und Trittklammern gegeben hatte – offenbar nach unserer Begehung 2013 eingerichtet. Interessiert frage ich mich beim Lesen, wo das bei dem vielen rutschigen Schutt eingebohrt worden war … und dann bleibt mir der Bissen im Halse stecken. Michael Pröttel hat seinen Tourenbericht mit einer ganzen Reihe eindrücklicher Fotos garniert, und Bild 2 ist an der gleichen Stelle entstanden wie meines elf Jahre zuvor: Es zeigt unseren Abstiegs-/Abseilweg aus fast dem gleichen Winkel. Doch nur mit größter Mühe kann ich anhand einzelner noch vorhandener Felsen oben am Grat bestätigen, dass die beiden Bilder exakt die gleiche Stelle zeigen. Die gesamte, sandartige Grundmasse mit den ganzen eingelagerten Felsbrocken ist weg. Einfach weg!
Man muss sich das mal vergegenwärtigen: Hier geht es schließlich um die – entsprechend wenig sonnenbeschienene – Nordseite des Alpenhauptkamms auf einer Höhe von fast 3.000 m. So weit ist die Permafrostgrenze inzwischen bereits nach oben gewandert, dass selbst in solchen Höhen und in zumeist schattigen Bereichen derart massive Veränderungen zunehmen. Ja, Berge wie der Große Geiger, in Sichtweite des Obersulzbachtörls, und viele andere sind wegen Steinschlag und der Gefahr größerer Felsstürze nicht mehr anzuraten, man liest es allenthalben. Dennoch bekommen solche Veränderungen nochmal eine ganz andere Qualität und persönliche Dimension, wenn Passagen betroffen sind, die man selbst kennt.
Die Bilder von Michael Pröttel haben mich gefreut und geknickt zugleich. Gern hätte ich die Tour von 2013 irgendwann wiederholt, doch was das Obersulzbachtörl angeht, werde ich mich wohl eher an meinen Erinnerungen erfreuen müssen. Und in Anbetracht der immer schneller sich verstärkenden Veränderungen im Hochgebirge die künftige Routenwahl noch mehr anpassen.
Ich bedanke mich explizit bei Michael Pröttel für die freundliche Erlaubnis, sein aktuelles Foto des Obersulzbachtörls verwenden zu dürfen.